Technik

Handgranaten

 

 

 

 

"Granatenarithmetik"

 
Also, die „Schießanleitung. Handgranaten.“ Ist ein offizielles Dokument. Darin lesen wir in der Beschreibung der Verteidigungshandgranate F-1: "… die Wirkungsweite der Handgranatensplitter beträgt 200 Meter“.
Jeder normale Mensch nimmt diese Worte folgendermaßen eindeutig auf – wenn Du keinen Splitter der F-1 einfangen willst halte dich von ihr in einer Entfernung auf, die größer als 200 Meter ist. Eigentlich denken ja auch alle so, die Granate vernichtet jeden und alles in einem Radius von 200 Metern um sich herum.
 
Nun, lasst uns doch mal rechnen. Das Gesamtgewicht der Granate mit Zünder beträgt 600 Gramm, die der Sprengstoffmasse 60 Gramm. Folglich hat das Metall aus dem sich Splitter bilden können einen Anteil von: 600-60=540 g.
 
Es ist bekannt, das die minimale Masse eines Splitters, der einen Menschen kampfunfähig machen kann 2 bis 5 Gramm beträgt. Splitter mit kleinerer Masse haben zuwenig kinetische Energie, um zu wesentlichen Schäden zu führen.
 
Gehen wir davon aus, dass bei der Detonation der Handgranate ein idealer Fall vorliegt – der Granatkörper hat sich gleichmäßig zerlegt und alle Splitter haben eine Masse von 2 Gramm. Natürlich ist das im Leben nicht so. Die Zerlegung des Granatkörpers erfolgt nach dem Gesetz der Zufallszahlen- und Größen. Die Masse und die Anzahl der sich bildenden Splitter ist zufällig. Der Autor hat Splitter gefunden, die fast so groß waren wie die Hälfte einer Granate. Aber ich wiederhole – wir nehmen den Idealfall an.
 
Also, aus 540 Gramm Metall des Granatkörpers können wir maximal (eben deshalb haben wir den Idealfall angenommen) 540 : 2 = 270 Splitter erhalten, die in der Lage sind einen Menschen zu töten oder zu verwunden. Vernachlässigen wir, wie viele davon in der Lage sind 200 Meter weit zu fliegen, d.h. wir berücksichtigen die Wurfkraft der 60 Gramm Trotyl nicht. Nehmen wir weiter an, dass alle Splitter 200 Meter weit fliegen, obwohl klar ist, dass dieser Fall unreal ist. Ein großer Teil der Splitter wird für eine derartige Flugweite nur unzureichend beschleunigt. Aber, wir nehmen eben an, dass es so ist.
 
 
Gehen wir auch davon aus, das sich alle bei der Detonation bildenden Splitter nach allen Seiten gleichmäßig verteilen und eine Bekämpfungszone mit einem Radius von 200 Metern bilden. Aber die Granate explodiert meist auf der Erdoberfläche. Folglich richten alle Splitter der unteren Halbsphäre keine Schäden an. Sie verschwinden in der Erde.
Es verbleiben 270 : 2 = 135 Splitter, die sich über der Erdoberfläche verteilen.
 
 
Die Granate ist jedoch zur Bekämpfung von Menschen vorgesehen. Gehen wir von einer durchschnittlichen Größe von 180 cm aus. Folglich können alle Splitter, die sich in einer Entfernung von 200 Metern in einer Höhe über 180 cm befinden, ihre Aufgabe nicht erfüllen. Sie fliegen über die Köpfe der Soldaten hinweg. Daraus ergibt sich, das vom Bereich der Granatwirkung nur ein Ring von 180 cm Höhe über der Erdoberfläche übrig bleibt. Nun mache wir etwas Trigonometrie. Der Tangens des Winkels ist gleich dem Verhältnis der gegenüberliegenden Kathete zur anliegenden. In unserem Fall ist der Tangens des Winkels gleich1.8/200 =0.009. Der Winkel ist dann gleich 0.5 Grad ( 30 Sekunden). (Schau in die entsprechenden Tabellen und rechne mit dem Taschenrechner nach.)
Folglich wird der Mensch von denjenigen Splittern geschädigt, die vom Detonationsort unter einem Winkel von 0 bis 0,5 Grad wegfliegen. Diejenigen Splitter, die einen höheren Abflugwinkel haben fliegen über das Ziel hinaus.
 
 
Sie werden jetzt sagen, dass die Splitter auf einer ballistischen Bahn fliegen und die Größte Reichweite diejenigen erreichen, die vom Detonationsort unter einem Winkel von 45 Grad abfliegen?
 
 
Ich bin einverstanden. In diesem Fall, lassen sie uns die Abflugwinkel für die Splitter berechnen, die der Kämpfer in die Beine und die er in den Kopf bekommt. Auch in diesem Fall beträgt die Differenz zwischen diesen Winkeln auf die Entfernung von 200 Metern 0,5 Grad.
 
Wenn man die gesamte Halbsphäre von 180 Grad als 100% annimmt, so betragen 0,5 Grad 0.27%. Wenn wir 135 Splitter für 100% annehmen, so verbleiben bei gleichmäßiger Verteilung in der Wirkungszone 0.27% der Splitter. Das heißt in die Wirkungszone kommt 0,19 Splitter, oder grob gesagt 0,2 Splitter. Die anderen überfliegen das Ziel. Praktisch ergibt sich, das auf die Entfernung von 200 Metern kein einziger Splitter in die Wirkungszone kommt.
 
Nun, das haben wir bisher nur nach der Vertikalen berechnet. Und was ist mit der Horizontalen?
 
Erinnern wir uns an die Geometrie. Die Länge eines Umfangs wir ermittelt nach der Formel „…“. Folglich beträgt die Länge des Umfangs der Wirkungszone 2 x 3.1415926 x 200 =1256 Meter. Verteilen wir 0,19 Splitter auf diese 1256 Meter.
 
0.19 : 1256 = 0.0001513 Splitter. Auf jeden laufenden Meter des Kreisumfangs ergeben sich 1 Fünfzehnhundertausendstel Splitter.
Wenn wir nun noch ei
ne Breite des Menschen von 50 cm annehmen, so komm
en auf seinen Teil 0,0000758 Splitter.
 
Ich hatte in der Schule Probleme mit der Wahrscheinlichkeitstheorie, wer sich da besser auskennt, kann ja mal die Wahrscheinlichkeit dessen ausrechnen auf eine Entfernung von 200 Metern einen F-1 Granatsplitter einzufangen. Ich denke das wird so bei 7-8 Fällen bei 100.000 Detonationen liegen. Das ist theoretisch. In der Praxis, wie ich oben schon schrieb, ist die Anzahl der Splitter jedoch bedeutend geringer. Wir haben den Idealfall berechnet. Natürlich bekommen bei weitem auch nicht alle Splitter genügend Energie um 200 Meter weit zu fliegen.
 
Nicht alle unter uns lieben die Zahlen und ziehen es vor zu Denken und ihre Vorstellungskraft zu nutzen. Gut: Stellen sie sich ihren örtlichen Fernsehturm (Umsetzer) vor. Die haben gewöhnlich eine Höhe von 200 Metern (nun der eine etwas mehr, der andere etwas weniger).
Jetzt stellen sie sich den Turm am Rand eines Fußballfeldes vor und an dieses Feld setzen sie noch eins dran. An der anderen Seite des Feldes machen sie das gleiche. Das entspricht etwa einer Entfernung von 200 Metern vom Turm. Nun decken sie diese Fläche mit einer Kuppel in Form einer Halbkugel ab, so, dass darunter sowohl der Turm, als auch die vier Fußballfelder passen. Das was sie nun erhalten haben ist die Halbsphäre mit Vernichtungswirkung. Die Ausmaße sind beeindruckend, nicht wahr? Jetzt stechen sie mit einer Aale oder einem Schraubenzieher 135 Löcher in diese Kuppel in dem sie diese gleichmäßig verteilen, sie können diese aber auch nach eigener Wahl nach dem Zufallsprinzip verteilen, so wie es gerade kommt. Und nun stellen sie sich einen Menschen an der Kuppel vor uns schätzen wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich dieser Mensch gerade unter eines der Löcher stellt. Nun?
 
Daraus folgt eine einfache Schlussfolgerung – die Wirkungsweite der Granate – 1 von 200 Metern, ist nicht anderes als eine Fiktion.
 
Ja, aber woher kam denn dann diese genannte Bekämpfungsentfernung? Am ehesten ist sie aus der Luft gegriffen, oder es war ein Druckfehler in der Anleitung zum Vorgänger der englischen Mils-Granate, der sich nachfolgend in allen anderen Quellen niederschlug, oder es war ein Reklametrick der Firma, oder jemand hat irgendwo nach dem Handgranatenwurf zufällig einen scheinbar frischen Splitter in einer Entfernung von 200 Metern vom Ausbildungsplatz gefunden.
Nun, in einer Entfernung von 50 bis 70 Metern vom Detonationsort haben wir schon Granatteile gefunden, aber das waren Teile der Größe eines Viertels oder eines Drittels der Granate, d. h. große Teile, die über genügend kinetische Energie verfügten und zufällig eine ideale ballistische Flugbahn erwischt hatten. Aber dass solche Teile über 200 Meter weit geflogen wären, solche Funde gab es nicht ein einziges Mal.
Ich neige zu dem Gedanken, dass die bekannten 200 Meter als maximaler Sicherheitsabstand vom Wurfstand für offen stehende Menschen bestimmt wurde. Und das noch multipliziert mit dem Koeffizienten 2. Danach sind diese 200 Meter auf irgendeine Art in die Anleitungen gekommen.
 
Diesen meinen Gedanken unterstützt die amerikanische Felddienstvorschrift FM 3-23.30, in der in der Beschreibung der englischen Mils-Granate, der Vorgängerin unsere F-1, die das gleiche Gewicht, gleiches Material des Granatkörpers und die gleiche Sprengladung hatte (der Wahrheit halber muss aber gesagt werden, dass sie nun die Bezeichnung Hand Grenade NO.36M trägt.),Э eine Wirkungsentfernung von 30 bis 100 Metern angegeben worden ist. Dabei wird angegeben, dass die Granate etwa 40 Splitter bildet.
 
Also auf welche Entfernung kann man denn nun damit rechnen einen Menschen mit der F-1 bekämpfen, fragt der pedantische Leser. Ich weiss es nicht.
 
Nun nehmen wir die Infanteriemine POMS-2M (ПОМЗ-2М). Sie hat ebenfalls einen gegossenen Körper, die gleiche Riffelung und die Menge des Sprengstoffes entspricht fast der einer F-1, nämlich 75 Gramm. Jedoch wiegt die Mine 1200 Gramm, d. h. Sie ist doppelt so schwer.
Die Pioniere sind ein pedantisches Völkchen, ihre Verantwortung ist hoch. Deshalb bemühen wir uns den Wirkungsradius unsere Munition genau zu berechnen und zu bestimmen damit wir genau wissen auf welche Entfernung der Gegner zweifellos bekämpft werden kann.
Also, der garantierte Vernichtungsradius der Mine POMS-2M beträgt – 4 Meter. Bei uns bezeichnet man den Vernichtungsgrad als garantiert, wenn mindestens 70% der Ziele vernichtet sind. Ich habe meine Zweifel, dass die F-1 stärker ist, als die Mine POMS-2M.
 
Man kann sagen, dass im Gefecht die Handgranate eher eine psychologische Wirkung hat, als dass sie eine Waffe ist. Natürlich ist die Granate im engen Schützengraben, in Räumlichkeiten, in einer engen Strasse kein schlechter Helfer. Aber schon in der Anleitung für die Handlungen der Sturmgruppen wurde geschrieben: „Breche in das Gebäude zu zweit ein, Du und die Granate. Sie vorneweg, Du hinterher. Bist Du ins Haus eingedrungen, vernichte die betäubten Faschisten mit Deiner Maschinenpistole, spare dabei keine Patronen. Bevor Du in den nächsten Raum eindringst, wechsele die Trommel“. D. h. sogar in einem Haus garantiert die Granate nicht die Vernichtung aller, die sich darin befinden.
Stellen wir letztlich fest, dass die Handgranate F-1 zu den Mächtigsten zählt. Alle anderen haben eine noch geringere Vernichtungswirkung. Heißt das nun, dass man im Gefecht sich vor Handgranaten nicht in Acht nehmen soll? Das ist durchaus nicht der Fall. Man soll sich selbst jedoch nicht allzu sehr darauf verlassen, dass die eigenen Granaten in einem kritischen Augenblick hilfreich sind.
Von einer gegnerischen Granate können sie jedoch im ungeeignetsten Moment einen Splitter in die empfindlichste Stelle bekommen, besonders, wenn sie nicht zu den Glückspilzen gehören.
 
Auch andere Autoren kamen, zwar mit anderen Berechnungsmethoden, zu ähnlichen Ergebnissen, wie ich, so F. Leonidow in der Zeitschrift Nr. 8/1999.
So kommt er auf eine Vernichtungsfläche durch Splitterwirkung von 78 bis 82 m2. Das in Form eines Kreises auf den Erdboden aufgetragen entspricht einem Ra

dius von etwa 5 Metern in dem man von einem Splitter getroffen werden kann. Das entspricht etwa meinen Angaben zur Infanteriemine POMS-2M. Damit kann man mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad sagen, dass man innerhalb einer Entfernung von 5 Metern zum Detonationspunkt der Handgranate sicher mit Splittern bekämpft werden kann. Bei größeren Entfernungen bleibt die Wirksamkeit der Granate zweifelhaft.

 
Interessant ist, dass die amerikanische Felddienstvorschrift FM 3-23.30 Grenades and Pyrotechnic Signals, die in ihrer Anlage D (Appendix D) die Handgranaten der möglichen Gegner beschreibt, im Abschnitt 1 (Section I. Former Soviet Union Nations) über den Bekämpfungsradius unserer Handgranate F-1 darauf verweißt: "…Lethal Radius: 20 to 30 meters.", d. h. der tödliche Vernichtungsradius beträgt 20 bis 30 Meter.
 
Eine Anmerkung nicht zur Sache: Noch bemerkenswerter ist, wen die USA zu ihren wahrscheinlichen Gegnern noch im September des Jahres 20000 zählen:
"APPENDIX D. THREAT HAND GRENADES. This appendix provides general information on common threat hand grenade identification, functions, and capabilities. North Korea, China, and many former Soviet Union nations have an extensive inventory of hand grenades…".
 
Dies heißt in Übersetzung:
"Anlage D. HANDGRANATEN DES GEGNERS. Diese Anlage gibt allgemeine Angaben zur Identifikation von Handgranaten des gewöhnlichen … Gegners, die Funktionsweise und Möglichkeiten. Nord Korea, China und die ehemalige Sowjetunion haben ein breites Spektrum an Handgranaten …
Vielleicht habe ich mich bei der Übersetzung geirrt? Das Wort "threat" hat bei einer gewöhnlichen Übersetzung die Bedeutung „Bedrohung“ Nun, setzen sie dieses Wort an Stelle des Wortes Gegner – ändert sich damit etwas am Wesen des Textes?
 
Splitterhandgranaten
 
Art
Angriffshandgranaten
Verdeitigungs-handgranate
Typ
RGD-5
RG-42
F-1

Masse (g), wurffertig
310
420
650
mittl. Wurfweite (m)
30 .. 40
30 .. 40
35 .. 45
Splitterradius (m)
25
25
200
Zünder
UZRG-M /
DS-62
USRG-M
UZRG-M /
DS-62
Verzögerung
in Abhängigkeit vom Zünder
 
UZRG-M 3,2 .. 4,2 s
 
DS-62      3,2 .. 4,0 s
Sprengstoff
Trotyl
Trotyl
Trotyl
Sprengstoffmasse (g)
110
160
55
Nummernverzeichnis
63 03 00
 
63 01 00
 
 
Handgranate F-1
 
 
Handgranate RG-42
 
 Handgranate RGD-5
 
 
 
Handgranatenzünder USRG-M
Der Zünder DS-62 unterscheidet sich durch  geringfügige konstruktive Veränderungen.
 
Quelle: A 050/1/482, K 050/3/001
http://www.rwd-mb3.de/munition/pages/hdgr1.htm

 

Literaturangaben:

1. W. I. Murochowski, S. L. Fjodorow. Die Waffen der Infanterie. Verlagsfirma „Arsenal-Press". Moskau. 1992.
2. W. N. Schunkow. Die Waffen der Infanterie 1939-1945. Charwest. Minsk. 1999.
3. Lehrbuch. Methoden und Handlungsweisen des Soldaten im Gefecht. Militärverlag des MfV der UdSSR. Moskau. 1988.
4. Anleitung für Schützen. Handgranaten. Militärverlag des MfV der UdSSR. Moskau. 1979.
5. Zeitschrift „Waffen“ №8, 1999.
6. Pioniermunition. Anleitung zu den Typen und deren Anwendung. 1. Buch. Militärverlag des MfV der UdSSR. Moskau. 1976.
7. B. W. Warjonyschew u. a. Lehrbuch. Militärische Pionierausbildung. Militärverlag des MfV der UdSSR. Moskau. 1982.
8. Seite „Militäraufklärung“ (http://www.vrazvedka.ru)
9. Felddienstvorschrift der USA-Armee FM 3-23.30 Grenades and Pyrotechnic Signals. HEADQUARTERS DEPARTMENT OF THE ARMY Washington, DC, 1 September 2000.
10. Anleitung zur 5.45 mm Maschinenpistole Kalaschnikow (Аk-74, АKS-74, АK-74N, АKS-74N) und zum 5.45 mm lMG Kalschnikow (RPK-74, RPKS-74, RPK-74N, RPKS-74NН). Militärverlag des MfV der UdSSR. Moskau. 1976
11. Anleitung für die Führung des Gefechts von Sturmabteilungen und  Sturmgruppen. Militärverlag. Moskau 1943.
 
Quelle: Der Beitrag ist ein aus dem Russischen übersetzter und redaktionell gekürzter Artikel von J. Weremejew aus http://army.amor.kiev.ua. Aus der gleichen Quelle stammen die Bilder.